Der Magier im Kreml by Da Empoli Giuliano
Autor:Da Empoli, Giuliano [Da Empoli, Giuliano]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählende Literatur
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2023-01-12T00:00:00+00:00
17
Es war jene Stunde der Nacht, in der der Tod die Welt betritt, und während ich durch die langen weiÃen Korridore des Kreml lief, hatte ich das Gefühl, mich am einzigen Ort in ganz Russland zu befinden, der nicht in Dunkelheit getaucht war. Der Senatspalast, in dem sich Putins Büro befindet, hatte nicht die Bedeutung des Zarenpalastes, lieà einen nicht vor Schreck erstarren. Hier zerstreut sich die Macht nicht, indem sie über die Spiegel sinnloser Salons gleitet, sondern sie konzentriert sich und handelt. Deshalb hatte Lenin ihn zum Sitz seiner Regierung gemacht, und seither wird in diesen kleinen, geschmacklos eingerichteten Räumen das Schicksal des gröÃten Landes der Erde entschieden. Als ich das Vorzimmer des Präsidenten betrat, richtete ich meinen üblichen stummen Gruà an die Zarenporträts an den Wänden und die Statue eines japanischen Samurai, die Putin seiner jungen Leibgarde aus Fleisch und Blut hinzugefügt hatte. Der Chef des Privatsekretariats winkte mich durch, der Präsident erwartete mich. Als ich sein Büro betrat, saà er hinter seinem Arbeitstisch und nicht auf dem Diwan, den er normalerweise für unsere Privatgespräche wählte. Ein sehr schlechtes Zeichen. Der groÃe Bronzekronleuchter war ausnahmsweise nicht eingeschaltet. Nur die kleine Tischlampe erhellte den Schreibtisch des Zaren und schuf eine Atmosphäre arbeitsamer Andacht. Ich setzte mich in einen der beiden unbequemen Sessel, die Putins Schreibtisch gegenüberstanden.
Der Zar las in einem Dokument und schwieg einige Minuten. Dann sagte er, ohne das Blatt vor sich aus den Augen zu lassen: «Wie steht es um meinen Beliebtheitsindex, Wadja?»
«Um die sechzig Prozent, Herr Präsident.»
«Gut. Und weiÃt du, wer höhere Werte hat als ich?»
«Niemand, Herr Präsident. Der nächste Konkurrent liegt bei rund zwölf Prozent.»
«Das ist nicht wahr, Wadja. Heb deinen Blick, es gibt einen russischen Führer, der beliebter ist als ich.»
Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte.
«Stalin. Väterchen Stalin ist heute populärer als ich. Wenn wir uns bei den Wahlen gegenüberstünden, würde er mich vernichtend schlagen!»
Das Gesicht des Zaren war jetzt von einer mineralischen Härte, auf die zu achten ich gelernt hatte. Ich enthielt mich jeden Kommentars.
«Ihr Intellektuellen seid überzeugt, es läge daran, dass die Menschen vergessen haben. Eurer Meinung nach erinnern sie sich nicht an die Säuberungen und Massaker. Deshalb werden weiterhin zahllose Artikel und Bücher über das Jahr 1937, die Gulags und die Opfer des Stalinismus veröffentlicht. Ihr glaubt, Stalin sei trotz der Massaker beliebt. Aber da irrt ihr euch, er ist wegen der Massaker beliebt. Denn er wusste wenigstens mit Dieben und Verrätern umzugehen.»
Der Zar machte eine Pause.
«WeiÃt du, was Stalin macht, wenn sich im sowjetischen Zugverkehr eine Unfallserie ereignet?»
«Nein.»
«Er nimmt von Meck, den Eisenbahndirektor, und lässt ihn wegen Sabotage erschieÃen. Das löst nicht das Problem der Eisenbahn, am Ende macht es die Sache sogar noch schlimmer. Aber er gibt der Wut ein Ventil. Das Gleiche passiert immer dann, wenn das System den Anforderungen nicht entspricht. Als das Fleisch knapp wird, lässt Stalin den Volkskommissar für Landwirtschaft, Tschernow, verhaften, stellt ihn vor Gericht, und dieser gesteht, wie von Zauberhand, dass er es war, der Tausende Kühe und Schweine schlachten lieÃ, um das Regime zu destabilisieren und einen Aufstand anzuzetteln.
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